Grünere Bauprojekte durch nachhaltigere Baumaterialien
Die Bauindustrie ist immer noch für rund 37 % der CO2-Emissionen verantwortlich. Die Wahl der Materialien ist ein wichtiger Hebel für mehr Nachhaltigkeit und einen geringeren CO2-Fußabdruck von Gebäuden. Diese Bewertungen erfordern digitale Werkzeuge - und eine digitale Denkweise.
Lesezeit: 5 Minuten
Publiziert am: 23.01.2023

Nieder mit den Datensilos, hin zum digitalen Gebäude-Ökosystem mit offenen Standards: Dieser Paradigmenwechsel beschäftigt die Bauindustrie seit Jahren. Ebendiese Vision verfolgte Professor Georg Nemetschek bereits bei der Gründung seines Ingenieursbüros im Jahre 1963 – und verwirklicht die Nemetschek Group mit ihren starken Marken heute und in Zukunft.
Nachhaltigkeit umfassend betrachten
Nachhaltigkeit in der Baubranche bedeutet insbesondere, den Lebenszyklus von Bauwerken ganzheitlich und als Kreislauf zu betrachten: Bereits in der Planungsphase kann der CO2-Fußabdruck über den gesamten Lebenszyklus berechnet werden – Bau, Betrieb und Rückbau werden analysiert und optimiert. Datengestützte Workflows auf Basis des Building Information Modelings (BIM) bieten Hilfe bei der Entscheidungsfindung, sorgen für verbesserte Visualisierung, Koordination und Energieeffizienz. Dass die Bauindustrie besonders gefordert sein wird, um die Klimaziele zu erreichen, schlägt sich auch in den Klimazielen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union nieder. Hier stehen besonders die Energieeffizienz des Gebäudebestands, der Bedarf an nachhaltigen Bau- und Sanierungsmethoden und -standards, sowie die Reduktion von Abfall und der Wandel hin zu einer kreislauffähigen Wirtschaft im Fokus. Kein Wunder, sind doch Gebäude für 50% des Verbrauchs aller gewonnenen Rohstoffe, 33% des Wasserverbrauchs und 35% der weltweiten Abfälle verantwortlich. International gibt es daher unzählige Initiativen für mehr Nachhaltigkeit, die direkt oder indirekt auch den Bausektor im Fokus haben. So hat Dänemark bereits eine Strategie zur energieeffizienten Renovierung des Gebäudebestands implementiert – und Finnland erarbeitet Maßnahmen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen und reformierte seine Flächennutzungs- und Baugesetze. Doch auch Strategien zum Thema Abfallvermeidung (Schwedens „Vision Zero Waste“) betreffen die ressourcenintensive Baubranche und setzen einen Wandel in Gang. Auch in Deutschland wurden Anfang 2023 die Qualitätsmerkmale für nachhaltiges Bauen erweitert und eine neues staatliches Förderprogramm für nachhaltige Neubauten aufgelegt.
Nachhaltiges Datenmanagement mit BIM
Beim optimalen, nachhaltigen Bauen und insbesondere bei der Sanierung von Bestandsgebäuden müssen viele Kriterien berücksichtigt werden: Reduktion und Vermeidung von Abfall, ressourceneffizienter Einsatz von Baumaterialien, CO2-neutrale Energiegewinnung, Einsatz nachwachsender Rohstoffe, Recycling- und Rückbaufähigkeit der Gebäudekonstruktion, Renovierungskosten und Förderbedingungen, um nur einige zu nennen. Hier sind digitale Arbeitsmethoden auf Basis von BIM nützlich. Wo steht die Planung in Bezug auf Nachhaltigkeit? Was ist der beste Weg, um den ökologischen Fußabdruck eines Immobilienportfolios zu verbessern? Komplexe Fragestellungen können mit Hilfe von BIM Modellen automatisierter und leichter beantwortet werden. Die Modelle reduzieren darüber hinaus Planungsfehler und verbessern Bauabläufen. Ein nachhaltiges Datenmanagement mit BIM hilft der Immobilien- und Bauwirtschaft, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Und das über alle Leistungsphasen und Gewerke eines Gebäude- oder Infrastrukturprojektes hinweg.
In der Planungs- und Entwurfsphase trägt die modellbasierte Planung dazu bei, dass alle Gebäudekomponenten einfach mit Baumaterialien und deren CO2-Emissionenbemustert werden können und unterschiedliche Konstruktionsvarianten erzeugt werden können. Das ermöglicht umfassende Analysen und Simulationen bevor die Werk- und Montageplanung beginnt. Dabei wird der ökologische Einfluss jeder Gebäudekomponente des gesamten Projekts über ihren Lebenszyklus berechnet. Verbesserungspotentiale werden frühzeitig erkannt und genutzt. Auch innovative Bauverfahren mit hohem Vorfertigungsanteil und modulare Baumethoden können mithilfe von BIM einfacher implementiert werden, da nur eine durchgängige 3D-Modllierung sicherstellt, dass die vorgefertigten Module fehlerfrei geplant und montierte werden.
In der Bauphase liegt der Hauptnutzen von BIM darin, dass alle Projektbeteiligten durch einen gemeinsamen Zugriff auf zentral gelagerte Daten sicher fundierte Entscheidungen treffen können – und so unnötige Nacharbeiten und Fehler verhindert werden. Auch hier sind die Vorfertigung und der Modulbau ein gutes Beispiel aus der Praxis: mit parametrischen BIM-Lösungen lassen sich viele Arbeitsschritte der Detailplanung automatisieren und schnell Konstruktionsvarianten erzeugen. Dadurch lässt sich der Materialverbrauch senken. In Kombination mit einer LEAN-basierten Bauzeitenplanung lassen führt BIM zusätzlich zu einem effizienteren Baustellenmanagement: Anlieferungen können so geplant und getaktet werden, dass Lagerzeiten möglichst gering ausfallen. Die gesamte Baustelle kann zudem papierlos gestaltet werden: Statt großer und häufig unübersichtlicher Pläne können die Teams mithilfe von Tablets arbeiten – und jede*r kann egal von wo und wann auf das BIM-Modell zugreifen und sich einen Überblick über den Status Quo verschaffen. Das schafft nicht nur Synergien erhöht auch die Effizienz: BIM ermöglicht eine transparente und schnelle bidirektionale Kommunikation zwischen Vorfertigung, Baustelle und Büro. Durch den regelmäßigen Abgleich der BIM-Modelle mit Punktewolken werden Qualitätsmängel schnell erkannt und Mängel nachfolgender Gewerke werden vermieden.
Während der Betriebsphase steht besonders die Energieeffizienz im Zentrum der Nachhaltigkeitsbestrebungen. Auch hier kann BIM zur Optimierung eingesetzt werden. Das BIM-Modell wird, falls in geprüfter Qualität verfügbar aus der Planung übernommen oder aus einer Punktewolke und 2D-Plänen rekonstruiert. Es kann in Kombinationen mit Sensordaten der TGA und künstlicher Intelligenz dazu genutzt werden, Wartungen optimal zu planen, Energieverbräuche zu plausibilisieren, und die Flächennutzung des Gebäudes zu optimieren. Auch die bautechnische Zustandsüberwachung von Gebäuden wird zunehmend mit Hilfe von BIM-Modellen dokumentiert.
Ist ein Gebäuderessourcenpass mit dem BIM-Modell verknüpft, liefert das BIM-Modell am Ende des Baulebenszyklus wichtige Daten zum Rückbau und Wiederverwendbarkeit verbauter Materialien und Komponenten. Der BIM-basierte Gebäuderessourcenpass verschafft eine Übersicht, welche Materialien, wo, in welcher Menge und in welcher Qualität verbaut wurden – und ermöglicht so, das abzureißende Gebäude als Rohstofflager für zukünftige Gebäude zu nutzen – ein wichtiger Schritt hin zur Kreislaufwirtschaft in der Baubranche.
Hand in Hand für eine nachhaltigere Baubranche
Building Information Modeling bietet über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäude- oder Infrastrukturprojekts große Mehrwerte. Dadurch steigert sich nicht nur die Effizienz und die Qualität der gebauten Welt, sondern auch deren Nachhaltigkeit. Die durchgehende Implementierung von digitalen Arbeitsweisen wie BIM ist notwendig, um die globalen Klimaziele zu erreichen – und den CO2-Fußabdruck des Gebäudesektors signifikant zu senken. Dabei sind alle Projektpartner gefragt, gemeinsam an nachhaltigen und resilienten Städten der Zukunft zu arbeiten.
Auf dem Weg zu einer digitalen Denkweise
Die Erstellung einer präzisen Ökobilanz ist eine komplexe Aufgabe, aber sie ist entscheidend, wenn die AEC/O-Industrie ihre Klimaziele erreichen will. Digitale Werkzeuge können die Bewertung erleichtern, und es werden ständig neue Methoden entwickelt, um den Prozess weiter zu rationalisieren.
So untersuchen Forscher beispielsweise, wie die Schalldämmung von Holzrahmen in einem früheren Stadium des Entwurfsprozesses verbessert werden kann. Normalerweise werden diese Analysen durchgeführt, wenn sich das Projekt bereits in der Detailplanung befindet. Das Problem dabei ist, dass diese Analysen Probleme aufzeigen können, die in der Regel teure und zeitaufwändige Änderungen erfordern. Durch die Verwendung von BIM-Modellen und IFC konnten die Forscher die Planung der Bauphysik, einschließlich der akustischen Analyse, in frühere Phasen verlagern, in denen sich Änderungen weniger auswirken.
Ein weiterer Entwicklungsbereich ist die Frage, wie die Genauigkeit der berechneten Umweltauswirkungen, z. B. des im Gebäude gebundenen CO2 oder der Energieeffizienz eines Gebäudes, erhöht werden kann. Diese Berechnungen können zwar in einem frühen Stadium durchgeführt werden, ihre Genauigkeit wird jedoch dadurch beeinträchtigt, dass in diesem Stadium des Entwurfs oft noch viele Unsicherheiten bestehen. Die gefühlte „Vollständigkeit“ des BIM-Modells kann oft den Eindruck erwecken, dass der Entwurf schon weiter fortgeschritten ist, als er tatsächlich ist. So kann beispielsweise die Materialklassifizierung begrenzt und, der Ort oder die Funktion von Materialien unbekannt sein. Zudem können Mängel im Entscheidungsprozess bestehen, die den Entwurf behindern.
Um diese Probleme zu lösen, werden derzeit verschiedene Ansätze entwickelt und erprobt. Ein Ansatz zur Verbesserung der Berechnungen von CO2-Emissionen ist die Anreicherung der Informationen über den Lebenszyklus von Gebäuden, die dann die Bewertung einer großen Anzahl möglicher Materialkombinationen auf einmal ermöglicht. Anstelle von Einzelwerten für eine bestimmte Materialkombination wird also eine Summe von Ergebnissen angezeigt, aus denen hervorgeht, welche Gebäudeteile das größte Emissionsminderungspotenzial aufweisen.
Ein Team aus Forschenden hat eine Lösung entwickelt, die auf kausalen Schlussfolgerungen beruht. Damit sollen Designentscheidungen im Hinblick auf bessere Umweltergebnisse verbessern werden, wenn keine genauen Informationen über Materialien oder Ähnliches vorliegen. Mithilfe eines vierstufigen Prozesses wird ein Kausaldiagramm mit Eingriffsmöglichkeiten erstellt. Auf diese Weise wird eine Verbindung zwischen Fachwissen und datengesteuerten Methoden hergestellt, die es ermöglicht, Designentscheidungen zu bewerten und zu interpretieren.
In ähnlicher Weise hat die Technische Universität München einen Modellierungsprozess entwickelt, der Strategien der natürlichen Sprachverarbeitung (NLP) nutzt. Dieser ordnet Materialien in einem BIM-Modell automatisch einer Wissensdatenbank mit Umweltindikatoren zu, um Informationslücken in einer frühen Entwurfsphase zu schließen. Diese enthält alle fehlenden Informationen, die für eine genauere Ökobilanz erforderlich sind.
Während die Industrie um das Erreichen von Netto-Null wetteifert, ist es klar, dass digitale Werkzeuge ein Schlüsselinstrument für die Dekarbonisierung und die Erreichung der Klimaziele sind. Diese Projekte zeigen, dass es selbst in einem frühen Stadium möglich ist, fundiertere Entscheidungen zu treffen – für bessere Umweltergebnisse.
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